H.-J. Bömelburg: Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen

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Titel
Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen. Ereignis- und Erinnerungsgeschichte


Autor(en)
Bömelburg, Hans-Jürgen
Erschienen
Anzahl Seiten
381 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Agnieszka Pufelska, Historisches Institut, Universität Potsdam

Die Flut der anlässlich des 300. Geburtstags von Friedrich II. erschienenen Veröffentlichungen ist kaum noch überschaubar und wer sich in die neuste Friedrich-Forschung einzuarbeiten wünscht, mag sich leicht überfordert fühlen. Diese große Anzahl ist allerdings noch kein Indikator für eine hohe Qualität der Beiträge. Leider nur wenige der sich einander oft ergänzenden oder auch widersprechenden geschichts- und kulturwissenschaftlichen Erklärungsansätzen eröffnen neue Blicke auf das tradierte Bild des Preußenkönigs und seiner Herrschaft. Zu diesen rühmlichen Ausnahmen zählt das hier zu besprechende Buch des Gießener Osteuropahistorikers Hans-Jürgen Bömelburg.

Die Besonderheit seines Beitrages liegt darin, dass er die Einbeziehung der polnischen Geschichte bei der Beschäftigung mit der friderizianischen Zeit für konstitutiv erklärt und somit der bisherigen deutschen Preußenforschung auch eine gänzlich andere Perspektive entgegengesetzt. Dieser Paradigmenwechsel ist für Bömelburg auch dringend nötig, um „die allein auf den deutschen Sprachbereich fixierte, über weite Strecken nationalistisch und gegenwärtig kulturalistisch gewendete deutsche Friedrich-Wahrnehmung“ endlich zu unterbrechen und an ihrer Stelle „ein kritisches und stärker plurales Friedrich-Bild“ zu etablieren (S. XVIIf). Aufbauend auf Überlegungen zu den polnisch-preußischen Beziehungen, wie sie von Klaus Zernack oder Michael G. Müller angestellt 1 wurden, stützt sich Bömelburg auf Forschungsergebnisse, die er bereits in seiner Dissertation über Westpreußen und einem Beitrag über Friedrich II. als deutsch-polnischer Erinnerungsort vorgelegt hat.2 Das Innovative an Bömelburgs neuem Buch ist vielmehr die Zusammenfassung von mehr oder weniger bekannten Hinweisen unter einer neuen Fragestellung und die daraus resultierende Originalität seiner Thesen.

Um die Notwendigkeit einer kritischeren und um den polnischen Bezug erweiterten Friedrich-Forschung zu verdeutlichen, bietet Bömelburg sowohl einen Überblick über die Beziehungen Friedrichs II. zu Polen als auch über die deutsche und polnische Rezeptionsgeschichte. Den kürzeren ereignisgeschichtlichen Teil beginnt er mit der Zeit der polnisch-sächsischen Union und zeigt dabei, wie die Aufenthalte des Kronprinzen Friedrich am Dresdner Hof seine negative Einstellung zu Polen prägten und wie intensiv dieser bereits in seinen jungen Jahren über ein Konzept „einer territorialen Erweiterung auf Kosten Polens“ nachdachte (S.16f). Territoriale Gewinne und materielle Eroberungen in Sachsen-Polen sind für Bömelburg auch der ausschlaggebende Grund gewesen, warum Friedrich den Siebenjährigen Krieg entfesselte. Daher setzt er sich dafür ein, die Staatsräson Friedrichs II. „stärker aus der Perspektive einer Rivalität zwischen Preußen und Sachsen-Polen zu durchdenken“ (S. 27) und zu berücksichtigen, dass sich der preußische König dabei einer aggressiv-militärischen „Alles-oder-Nichts-Politik“ (S. 31) bediente. Diese kulminierte schließlich in der Ersten Teilung Polens von 1772, als Friedrich II. seine längst gefassten Annexionspläne dank der günstigen machtpolitischen Konstellation in Europa endlich realisieren konnte. Ungefähr zu gleichem Zeitpunkt beobachtet Bömelburg eine weitere Eskalation zu einem negativen Polenbild im Denken Friedrichs. „Er schuf ein Negativklischee mit Übergängen zu einem veritablen Feindbild“ (S. 88), um damit den Wert der Annexionen systematisch und in propagandistischer Absicht zu diskreditieren und seine Eroberungspolitik in Polen als aufgeklärte bzw. zivilisatorische Mission zu legitimieren.

Der gewählten Überblicksform dürfte es wohl geschuldet sein, dass Bömelburg in diesem ereignisgeschichtlichen Teil wenig differenziert argumentiert und häufig in einer simplifizierenden Opfer/Täter-Dichotomie verharrt, ohne die historischen und strukturellen Bedingungszusammenhänge der polnisch-preußischen Beziehungen in seine Darstellung zu integrieren. Eine Auseinandersetzung mit den innerpolnischen Konflikten, die Friedrichs „negatives Polenbild“ und „negative Polenpolitik“ (S. 106) erleichterten, fehlt hier ebenso wie der Hinweis darauf, dass die Zeit der friderizianischen Expansion auf Kosten Polens teilweise auch von polnischem Bemühen geprägt ist, etliche Adelshäuser auf die Belange Preußens auszurichten. Erwähnt sei an dieser Stelle die von Friedrich unterstützte Ehe zwischen seinem Neffen Ludwig von Württemberg und der Fürstin Maria Czartoryska, Tochter des mächtigen Staatsmannes Adam Kazimierz, die samt der polnischen Schwiegermutter einige Tage am Potsdamer Hof gastierten und die die Weichen für die künftige polnisch-preußische Annäherung stellten.

Deutlich umfassender und damit auch ergiebiger erscheint der zweite, erinnerungsgeschichtliche Teil des Buches. Überzeugend und facettenreich zeigt hier Bömelburg, wie die von Friedrich II. etablierten pejorativen Stereotype über Polen, wie zum Beispiel das von der „polnischen Wirtschaft“, durch die deutsche Öffentlichkeit und Historiographie seit dem 19. Jahrhundert wiederholt und verstärkt wurden. Im Prozess rasch zunehmender Nationalisierung der deutschen Gesellschaft wurde „der Preußenkönig zum Vorreiter des nationalen Einheitsgedankens“ (S. 182) erhoben und als „Begründer einer preußischen Kolonisationspolitik und einer ‚deutschen Kulturarbeit‘“ (S. 191) stilisiert. Mit dieser idealisierten und auf polnischen Feindbildern basierenden Geschichtsverklärung ließ sich dann leicht der „deutsche Imperialismus um 1900 in die Kontinuität friderizianischer Vorbilder“ (S. 193) stellen; allen voran in den deutsch-polnischen Kontaktregionen wie Westpreußen und Großpolen.

So interessant und wichtig diese These auch erscheint, so knapp wird sie ausgeführt. In seiner Abhandlung konzentriert sich Bömelburg vorwiegend auf die deutsche Wahrnehmung Friedrichs II. und mit einer stupenden Kenntnis schildert er (vom Kaiserreich bis heute) die einzelnen historischen Phasen ihrer dynamischen Entwicklung. Bei diesem imposanten Reichtum an Beispielen verwundert es auch nicht, dass ihm einige Recherchefehler und Ungenauigkeiten unterlaufen sind. Die von Schadow 1793 für Stettin gefertigte Statue ist keinesfalls „das erste Friedrich-Denkmal überhaupt“ (S. 140). Spätestens 1790 ließ Herzog Carl von Württemberg-Oels in seinem oberschlesischen Park Bad Carlsruhe (heute Pokój) ein Standbild „Friedrichs des Einzigen“ aufstellen. Für Bömelburgs Kontext könnte der Hinweis umso interessanter sein, als dieses Denkmal, allerdings mit abgeschlagenem Kopf und ohne Arme, heute noch steht und somit fast symbolisch die polnische Erinnerung an Friedrich II. versinnbildlicht. Ebenfalls würde man sich wünschen, dass Bömelburg bei der Analyse der Weimarer Republik sowohl den Einfluss von Spenglers Buch „Preußentum und Sozialismus“ als auch die affirmative Friedrich-Wahrnehmung von links (zum Beispiel bei Siegfried Kracauer) berücksichtigt und diese nicht alleine auf die DDR – besonders in den 1980er-Jahren – reduziert hätte.

Spiegelbildlich zur deutschen positiven Friedrich-Memoria stellt Bömelburg die polnische Wahrnehmung Friedrichs II. als „Feind“ der Polen und der polnischen Staatlichkeit dar. Seiner Meinung nach stehen diese beiden Wahrnehmungen in einer Wechselwirkung zueinander: In dem Maße, in dem sich in Deutschland eine einseitige nationale Indienstnahme Friedrichs durchsetzte, entfaltete sich die polnische Darstellung seiner Person immer kritischer und negativer (S. 338). Mit aufschlussreichen und dem deutschen Lesepublikum bisher unbekannten Quellenhinweisen verdeutlich er dabei sehr anschaulich, wie sich vor dem Hintergrund der deutsch-polnischen Konfliktgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts die stark pejorative Bewertung der historischen Rolle Friedrichs II. in der polnischen Öffentlichkeit und Geschichtsschreibung etablierte. Doch gerade angesichts der Eigenart und Unbekanntheit des Materials bedauert man, dass Bömelburg etliche Beispiele der polnischen Friedrich-Wahrnehmung auslässt. Zu nennen wäre hier lediglich die Ausstellung seiner lebensgroßen Wachsfigur kurz nach seinem Tod in Warschau oder das relativ positive Porträt seiner Person in dem historischen und in der DDR ins Deutsche übersetzten Roman „Aus dem Siebenjährigen Krieg“ von Józef Ignacy Kraszewski. Gerade bei Behandlung der polnischen Aspekte ist das Buch auch nicht ganz frei von sprachlichen Mängeln: Neben einigen Fehlern bei der Schreibung polnischer Namen (Staszic/Staszyc) fallen auch begriffliche Inkonsequenzen (erste/Erste Teilung Polens) auf.

Bömelburgs Verknüpfung von Ereignis- und Erinnerungsgeschichte stellt eine methodologische Herausforderung dar. Indem er explizit auf die Analyse von Diskursen abzielt, zeichnet er einen linearen, fast teleologisch anmutenden Verlauf eines negativen deutsch-preußischen Polendiskurses, der von Friedrich II. bis heute wenig Spielraum für Abweichungen und Widersprüchlichkeiten erlaubt und Gefahr läuft, Geschichte in Erinnerungspolitik aufzulösen. Diesem Einwand zum Trotz ist Bömelburg eine kenntnisreiche Pionierstudie gelungen. Möge seine Aufforderung zur gemeinsamen deutsch-polnischen Erinnerung an Friedrich II. weit gehört und in der künftigen Forschung berücksichtigt werden.

Anmerkungen:
1 Klaus Zernack, Preußen - Deutschland - Polen. Aufsätze zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, hrsg. von Wolfram Fischer und Michael G. Müller, Berlin 1991; Michael G. Müller, Die Teilungen Polens, 1772, 1793, 1795, München 1984.
2 Hans-Jürgen Bömelburg, Zwischen polnischer Ständegesellschaft und preussischem Obrigkeitsstaat. Vom Königlichen Preußen zu Westpreußen (1756 - 1806), Oldenburg 1995 sowie ders., Friedrich II. als Erinnerungsort im deutschen und polnischen Bewusstsein, unter: <http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-colloquien/friedrich-bestandsaufnahme/boemelburg_erinnerungsort> (15.05.2012)

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